Von Philip Merker, Inhaber der Merker Industriebewertungen
Die aktuelle Flutkatastrophe hat gezeigt, wie schnell fehlender oder falscher Versicherungsschutz die Existenz von Unternehmen gefährden kann. Die Industrieversicherer melden Prämienerhöhungen von bis zu 25% für die Sachversicherung, und Preissteigerungsraten bei Maschinen von bis zu 30% schlagen ebenfalls zu Buche.
Daher ist gerade jetzt die richtige Versicherungssumme bei der Sachversicherung entscheidend: Während eine zu hohe Versicherungssumme die Prämien unnötig verteuert, kann eine zu geringe Absicherung im Schadenfall sogar die Unternehmensexistenz gefährden. Selbst wenn die Versicherungssumme einmal korrekt mittels Neuwertgutachten bestimmt wurde, können alltägliche Geschäftsvorfälle dazu führen, dass diese im Laufe der Zeit falsch wird.
Unternehmen laufen also Gefahr, dass sie zu teuer oder zu gering versichert sind. Für Makler kommen noch Haftungsrisiken hinzu, da die Ermittlung der richtigen Versicherungssumme üblicherweise zu ihren Beratungspflichten gehört. Woran lässt sich jedoch erkennen, ob die Versicherungssumme (noch) korrekt ist? Und wie vermeiden Unternehmen eine falsche Deckungssumme?
Folgende Fallbeispiele zeigen auf, wie es zu falschen Versicherungssummen in der Sachversicherung kommt und wie man dies vermeidet.
Gebrauchtmaschinen, Messen und Auktionen
Auf Messen ist es üblich, dass Unternehmen ihre Maschinen mit einem erheblichen Preisnachlass von 20% und mehr einkaufen. Trotzdem müssen sie dann zum Neuwert versichert werden, da im Falle eines Schadens und unter Zeitdruck der gute Messe-Deal kaum wiederholbar sein wird.
Dasselbe gilt, wenn Maschinen und Einrichtungen gebraucht oder auf Auktionen erworben werden. Auch hier muss der Neuwert und nicht der günstige Anschaffungspreis versichert werden, wobei branchenübliche Preisnachlässe von 5 bis 10% unproblematisch sind.
Es gibt jedoch keinen Grund, die Versicherung unnötig zu verteuern: Sofern sich dokumentieren lässt, dass vergleichbare Maschinen jederzeit gebraucht beschafft werden können und dass das Unternehmen dies auch in Betracht zieht, kann auch der geringere Zeitwert in die Versicherungssumme übernommen werden.
Montagelastige Anlagen
Da die Sachversicherung den Neuwert – also die Betriebsbereitschaft – einer Anlage versichert, gehören neben der eigentlichen Anlage auch Fracht, Verpackung und Montage mit dazu. Viele Unternehmen mit sehr montagelastigen Anlagen wie etwa in der Verfahrenstechnik, der Chemie oder Pharmazie beschäftigen eigenes Fachpersonal für die Montage. Diese Eigenleistungen werden häufig nicht aktiviert, sondern anderweitig verbucht. Bei einer verfahrenstechnischen Anlage kann der Montageanteil aber schnell rund 20% der Gesamtkosten ausmachen – die dann im Versicherungswert fehlen. Durch weitere Umbauarbeiten wächst sich dies im Laufe der Zeit zu einer massiven Unterversicherung aus. Versicherungstechnisch ist die Anlage also so zu bewerten, als wenn die Montage durch den Hersteller erfolgte.
Leasingmaschinen
Leasingmaschinen sind regelmäßig nicht im Anlagevermögen verzeichnet, da sie nicht Eigentum sind. Allerdings sehen 90% der Leasingverträge vor, dass der Leasingnehmer für die Versicherung der Anlagen verantwortlich ist. Es ist also sicherzustellen, dass sämtliche Leasingmaschinen in der Versicherungssumme enthalten sind – und zwar inklusive Fracht, Verpackung und Montage.
Bei Übernahme einer Leasingmaschine wird die Restzahlung buchhalterisch im Anlagevermögen aktiviert. Da die Restzahlung aber nicht den Neuwert der Maschine widerspiegelt, darf sie keinesfalls einfach in die Versicherungssumme übernommen werden.
Wenn – richtigerweise – der Neuwert der Maschine am Anfang der Leasingzeit in den Versicherungswert eingebracht wurde, darf jedoch bei Übernahme nicht auch noch der Restwert zugeschrieben werden, denn das würde zu einer teuren Überversicherung führen.
Der Unterschied zwischen Gebäude und Einrichtung
Vielfach ist unklar, welche Bestandteile versicherungstechnisch dem Gebäude und welche den Einrichtungen zuzuordnen sind.
Die Zuordnung beeinflusst jedoch die Versicherungssumme erheblich: Landen bestimmte Bestandteile sowohl beim Gebäude als auch bei der Einrichtung, kommt es zur Überversicherung. Werden bestimmte Bestandteile fälschlicherweise dem Gebäude zugerechnet, führt das zur Unterversicherung in der Betriebseinrichtung. Das ist gefährlich, da die Gebäudeversicherung im Zweifel beim Schaden auch nur für Gebäudeteile aufkommt.
Die richtige Zuordnung ist jedoch komplex: Absauganlagen, Betonfundamente für Maschinen, Zu- und Abluftanlagen zum Beispiel gehören zur Einrichtung – ebenso wie Langfeldleuchten, sofern sie nicht plan mit der abgehängten Decke sind. Während Personenfahrstühle zum Gebäude gehören, sind Lastenaufzüge Betriebseinrichtung. Bei Kesselanlagen wiederum entscheidet die Nutzung, bei EDV-Anlagen die Verträge. Letztendlich kommt es für die richtige Zuordnung auf eine sorgfältige Einzelprüfung der Umstände vor Ort an.
Das berühmte „Kleinvieh“
Viele kleinere Posten werden gern übersehen oder schlicht vernachlässigt. Diese können sich jedoch zu erheblichen Beträgen summieren, die dann in der Versicherungssumme fehlen. Typische Beispiele aus der Praxis sind:
- Nicht zugelassene Fahrzeuge für den internen Werksverkehr. Da sie nicht kaskoversichert sind, gehören sie in die Versicherungssumme für die Betriebseinrichtung.
- Bei Umzügen in Verwaltungsgebäude finden sich dort häufig bestehende EDV-Verkabelungen, die nicht in der Anlagenbuchhaltung zu finden sind und dementsprechend im Versicherungswert fehlen.
- Wenn bei Käufen von Anlagen oder ganzen Betriebsteilen aus Insolvenzen heraus die Unterlagen über die ehemaligen Anschaffungskosten unvollständig sind, ist eine Übernahme in die Versicherungssumme „vom Papier“ nahezu unmöglich. Hier hilft nur noch eine komplette Neuwertbewertung.
- Formen und Muster gehören ebenfalls in die Versicherungssumme. Gerne sammeln sich hier über Jahre erhebliche Werte an, die vom Unternehmen selber völlig unterschätzt werden. Es ist kein Problem, 40 Jahre alte Formen nicht mehr gegen Feuer zu versichern, es muss jedoch dokumentiert werden.
Bewertung der Abgänge
Zugänge einzupflegen, ist verhältnismäßig einfach – Schwierigkeiten bereiten oftmals die Abgänge. Häufig werden von der Buchhaltung die Maschinen mit ihren ehemaligen Anschaffungswerten aus der Versicherungssumme genommen. Das ist aber falsch, denn nicht der ehemalige Anschaffungswert der Maschine muss abgezogen werden, sondern der aktuelle Neuwert einer vergleichbaren Anlage. Wenn mehrfach dieser Fehler begangen wird, ist die Versicherungssumme sehr schnell zu hoch.
Richtiges Hochindizieren
Um auf die Neuwerte hochzurechnen, wird üblicherweise auf die Preistabellen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 17 Reihe 2, zurückgegriffen. Für diese Werte werden rund 6.300 Unternehmen nach den aktuellen Preisen von ca. 1.350 Güterarten befragt. Daraus werden dann die Preissteigerungen von einzelnen gewerblichen Gütern – und zwar vom Magerquark bis zum Sattelschlepper – ermittelt. Diese Preisangaben und deren Steigerungsraten betreffen aber immer das lieferfertige Erzeugnis ab Werk. Das heißt: Bei diesen Indizes sind Fracht, Verpackung und Montage und deren Preissteigerungen nicht enthalten. Hier kann es zu erheblichen Unschärfen kommen, denn die Montagekosten entwickeln sich preislich oft deutlich anders als die reinen Herstellungskosten einer Maschine. Die korrekte Anwendung der dafür vorgesehenen Position 610 für Reparatur, Instandhaltung und Installation ist kompliziert und wird daher meistens unterlassen.
Für elektronikversicherte Anlagen und Geräte gibt es eigene Preisreihen, da hier zwischen Elektronik und Technik unterschieden wird. Darüber hinaus arbeiten einige Versicherungsunternehmen mit eigenen Branchenindizes. Um also die Versicherungssumme durch Hochrechnen zu ermitteln, müssen die Preisindizes korrekt angewendet werden.
Hohe Preissteigerungen
Besonders gravierend auf die Deckung wirken sich zurzeit die aktuellen – zum Teil exorbitanten – Preissteigerungen aus. Im August stiegen die Erzeugerpreise für gewerbliche Produkte um 12% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist der größte Preisanstieg seit 1974. In manchen Branchen erhöhten sich die Maschinenpreise um 30%, zum Beispiel bei den Inline-Maschinen. Dadurch kann es sogar innerhalb weniger Monate zu einer Unterversicherung kommen, die – wie die Praxis zeigt – auch nicht mehr durch die üblichen Puffer aufgefangen wird.
Fazit
Eine Versicherungssumme „auf den Punkt“ schützt vor (existenzbedrohenden) Risiken und vermeidet unnötig hohe Prämien. Viele Fehler bei der Bestimmung der Versicherungssumme passieren in alltäglichen Geschäftssituationen. Diese lassen sich jedoch durch richtiges „versicherungstechnisches Verbuchen“ vermeiden. Sofern die Versicherungssumme mittels eines Neuwertgutachtens einmal korrekt ermittelt wurde, kann sie dann durchaus bis zu zehn Jahre mit vertretbarem Aufwand gepflegt werden. Ein dafür qualifiziertes Sachverständigenbüro übernimmt mit der Versicherungswertermittlung selbstverständlich auch die weitere Pflege und die Verantwortung für die Korrektheit der Werte.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2021, Seite 34 ff., und in unserem ePaper.
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