Eine 34-jährige Frau lebt seit ihrer Geburt mit einer Fehlbildung der linken Hand. Aufgrund operativer Maßnahmen liegt ein Teilhandverlust vor: Der Mittelfinger fehlt komplett, Daumen, Zeige- und Ringfinger sind nur zur Hälfte vorhanden. Die als Arzthelferin tätige Versicherte ist Rechtshänderin. Ihr wurde eine individuelle Finger-Handprothese aus Silikon verordnet, deren Kosten sich auf rund 17.600 Euro belaufen.

Krankenversicherung: Medizinische Notwendigkeit nicht gegeben

Die Krankenversicherung sah hierfür aber keine medizinisch Notwendigkeit und lehnte eine Versorgung mit der betreffenden Finger-Handprothese ab. Das Hilfsmittel gleiche nach Meinung der Krankenversicherung keine verloren gegangenen oder eingeschränkten Funktionen der fehlgebildeten Hand aus, da die Prothese keine Gelenke habe und vollständig unbeweglich sei. Stattdessen solle sie wohl vor allem Teile der linken Hand möglichst naturgetreu und ästhetisch nachbilden.

LSG: Erhebliche Funktionsfähigkeit der Hand wird teilweise ausgeglichen

Die Richter des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) Darmstadt verurteilten die Krankenkasse zur Versorgung der Versicherten mit der Finger-Handprothese. Der Argumentation des Gerichts zufolge sei die Prothese geeignet, die erheblich herabgesetzte Funktionsfähigkeit der linken Hand der Versicherten teilweise auszugleichen. Außerdem sei dem eingeholten Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zufolge davon auszugehen, dass mit der Silikonprothese aufgrund der erhaltenen Beweglichkeit in den Grundgelenken eine deutliche funktionelle Verbesserung der Greiffunktionen der linken Hand herbeigeführt werden könne. Zumindest ermögliche die Elastizität des Silikons das Greifen größerer Gegenstände, sofern diese nicht allzu schwer seien. Auch diverse Handgriffe wie Pinzetten-, Zangen-, Dreipunkt- und Schlüsselgriff könnten verbessert werden. Dies gelte zugleich auch für die Arbeiten mit Computertastatur und -mouse, Trackball und berührungsempfindliche Bildschirme. Auch das Halten von Handy und Telefon mit der Teilhandprothese sollte möglich sein, sodass die Versicherte mit ihrer rechten Hand gleichzeitig zum Telefonat Daten leichter eingeben könne.

Anderslautende Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) seien laut LSG deshalb nicht maßgebend, da diese lediglich nach Aktenlage und nur auf der Basis von Fotos der betroffenen Hand erstellt worden seien. Auch einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verneint das Gericht, da eine gleichwertige Versorgung anders nicht möglich sei. Die Darmstädter Richter hoben hervor, dass sich der Sachverhalt hier anders darstelle als in einem vorangegangenen Urteil, in dem bei einem Verlust lediglich eines Fingerendglieds ein Anspruch auf eine Prothese abgelehnt worden sei, da hier letztlich die Ästhetik im Vordergrund gestanden habe. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Hessisches LSG Darmstadt, Urteil vom 23.09.2021 – Az.: L 8 KR 477/20

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