Interview mit Dr. Thomas Deutschländer, Leiter des Referats Hydrometeorologische Beratungsleistungen beim Deutschen Wetterdienst (DWD)

Herr Dr. Deutschländer, es wird heißer und trockener. Gleichzeitig nehmen Starkregen- und Hochwasserereignisse zu. Wie passt das alles zusammen?

Das ist ein handfester physikalischer Zusammenhang. Je höher die globale Temperatur steigt, desto mehr Wärme und Energie sammelt sich in der Atmosphäre. Es muss also mehr Temperatur auf die Regionen der Welt verteilt werden: Es wird wärmer. Und genau dieser Zugewinn an Energie sorgt eben auch dafür, dass die Luft nach rein physikalischen Gesetzen mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann: Es wird nasser. Mit jedem Grad Temperaturerhöhung steigt die Aufnahmefähigkeit der Luft von Wasserdampf um etwa 7% an. Das kann man nicht ignorieren.

Seit wann ist denn überhaupt eine Zunahme von Starkregenfällen messbar?

Menschliche Wahrnehmung einerseits und nüchterne statistische Fakten andererseits kommen sich hier in die Quere. Gefühlt gibt es in den letzten 20 Jahren eine gewisse Tendenz zu einer Zunahme von Starkregen. Auf Basis statistischer Daten können wir aber noch keine endgültig belegte Trendzunahme durch den Klimawandel feststellen. Das Monitoring von Starkniederschlagsereignissen ist extrem schwierig, weil wir es mit einem grundsätzlich seltenen und dazu kleinräumigen Phänomen zu tun haben. Letztlich existieren daher erst seit 20 Jahren durch Einführung der flächendeckenden Niederschlagserfassung mittels Radars für derartige Auswertungen gut geeignete Daten.

Inwiefern waren die sturzflutartigen Regenfälle in Westdeutschland aus DWD-Sicht besonders?

Allein die Niederschlagsmengen, die dort gefallen sind, waren für die Region schon etwas sehr Besonderes. Solche Mengen sind dort von unseren Messtöpfen noch nicht gemessen worden. Auf ganz Deutschland betrachtet sind solche Mengen hingegen auch früher schon beobachtet worden.

Wie wird sich die Häufigkeit solcher Ereignisse in Zukunft entwickeln und worauf sollten sich künftige Bauherren bezüglich Hochwasser und Starkregen einstellen?

Je stärker und ungewöhnlicher das Ereignis ist, desto mehr nimmt dessen Häufigkeit in der Zukunft prozentual zu. Das betrifft Sommer und Winter gleichermaßen, wobei in der Sommersaison von April bis September eben vermehrt Starkregen und in der Wintersaison dann vermehrt Dauerniederschläge auftreten werden. Niederschlagsereignisse, die gegenwärtig einmal pro Sommer auftreten, erleben wir in der fernen Klimazukunft – also von 2071–2100 – etwa zweimal pro Sommer. Aber klar sollte sein, dass es auch in den nächsten Jahrzehnten sehr wahrscheinlich schon eine steigende Tendenz geben wird. Regional betrachtet neigen die Klimamodelle auch ein Stück weit dazu, dass die Häufigkeit in Richtung Alpen sowie nach Südwestdeutschland tendenziell etwas stärker zunimmt. Künftige Bauherren sollten daher bevorzugt das höher gelegene Grundstück bebauen. Auch ein Blick auf den zum Grundstück nächsten Wasserlauf sowie in die amtlichen Hochwasserkarten kann sicher nicht schaden. Klar sollte sein: Am schnellsten und am meisten sammelt sich das Wasser in Senken. Das sollte man sich bei seiner Bau- bzw. Kaufentscheidung einfach bewusst machen.

Welche Relevanz haben Ihre Berechnungen für die Versicherungswirtschaft und wie gut funktioniert die Abstimmung zwischen Versicherern und Wetterdiensten?

Die Versicherungswirtschaft ist am Thema Starkregen sehr interessiert. Der DWD hat daher zusammen mit dem GDV zu diesem Thema ein Forschungsprojekt durchgeführt. Die Kooperation identifizierte erstmals systematisch das Schadenausmaß und -potenzial von Starkregen in ganz Deutschland. Außerdem wurden die Charakteristika besonders schadenträchtiger Starkregen betrachtet. Zentrale Ergebnisse sind erstens: Stark­regen kann in Deutschland jeden treffen – es ist eben nur eine Frage der Zeit. Das zeigt der Blick auf die Unwetterwarnungen vor Starkregen in ganz Deutschland im Zeitraum 2001–2020 (siehe Karte rechts). Wir sehen, dass praktisch überall in Deutschland schon vor Starkregenunwetter gewarnt wurde. Kurze, heftige Niederschläge treten überall mit einer ähnlich hohen Wahrscheinlichkeit auf. Zweitens: Schäden entstehen vor allem durch kurze und heftige Starkregenereignisse. Und ganz konkret: Die meisten Schäden bringen dreistündige Starkregenereignisse. Ein Verständnis dieser Zusammenhänge wird für die Versicherungswirtschaft – Stichwort Elementarschadenversicherung – immer wichtiger. Durch das DWD-GDV-Projekt verstärkt gibt es mittlerweile einen relativ regen Austausch. Das wird sich in Zukunft auch noch weiter intensivieren. Es geht dann aber vermutlich nicht mehr nur um Starkregen, sondern auch um andere Extremwetterereignisse wie Hagel oder Sturm.

Ihre Analysen beeinflussen die Risikozonierung und Prämienkalkulation und haben damit erheblichen monetären Impact. Inwiefern ist sich der DWD dessen bewusst?

Es ist klar, dass unsere Daten die Basis für Entscheidungen sind, die viele andere Menschen betreffen. In unserer alltäglichen Arbeit schärft dieses Bewusstsein das Bedürfnis nach noch mehr Akribie und Vorsicht. Damit die Analyse so richtig wie möglich ist, muss man die Zahlen lieber sieben als fünf Mal umdrehen. Aber natürlich gibt es bei all den Studien einen kleinen Unschärfebereich, der sich nicht schließen lässt.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Realität den Prognosen der Klimaforscher schneller folgt als erwartet. Wie ist Ihre Einschätzung?

Diese Wahrnehmung ist nachvollziehbar. Beim Temperaturanstieg der jüngeren Klimaprojektionen befindet sich Deutschland auf dem erwarteten Pfad. Hier passen die Vorhersagen. Bei den Niederschlägen – und gerade bei den Extremereignissen – behaupte ich ebenfalls, dass die Projektionen keinesfalls hinter der Realität zurückbleiben. Starkregen ist nicht nur ein zeitliches, sondern auch ein räumliches Phänomen. Dieser Zusammenhang kann durchaus die menschliche Wahrnehmung ein wenig verzerren.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 01/2021, S. 32 f., und in unserem ePaper.

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