Ein Interview mit Mario Hartmann, D&O-Experte bei Hiscox Deutschland
Herr Hartmann, gibt es heute eigentlich noch einen großen Unterschied zwischen Unternehmens-D&O und personenbezogener D&O?
Das Spezielle an der sogenannten Unternehmens-D&O ist, dass Versicherungsnehmer und Begünstigte auseinander fallen. Für Geschäftsführer und Vorstände hat sie den Vorteil, dass nicht die Person selbst, sondern das Unternehmen die Prämie zahlt. Es gibt aber auch Nachteile: Man teilt die Versicherungssumme gegebenenfalls mit anderen. Die Frage ist zudem, habe ich Einfluss auf die Versicherung? Wurde sie verändert? Was passiert bei und nach dem Verlassen des Unternehmens? Heutzutage wird allerdings schon viel in den Anstellungsverträgen geklärt, mehr als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Und trotzdem ist die Nachfrage nach der Persönlichen D&O über die Jahre gestiegen.
Aber ja, es stellt für jeden Versicherer, der bereits viele Unternehmens-D&O-Versicherungen in seinem Bestand hat und jetzt die Persönliche D&O anbieten will, eine Frage des Kapazitäten-Managements, des sogenannten Kumuls. Es kann also sein, dass ich sowohl die Unternehmens-D&O in den Büchern habe als auch die Persönliche D&O. Schwierig festzustellen ist das zum Beispiel bei Tochterunternehmen. Wir reden insgesamt aber nur von einer Handvoll Versicherer, die nach meinem Kenntnisstand aktuell die Persönliche D&O anbieten. Wir von Hiscox bieten beides an. Wenn jemand für sich abschließen will – fein, wenn einer das ganze Unternehmen versichern will – auch fein.
Gibt es auch Dopplungen?
Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sind Geschäftsführerin in einem Tochterunternehmen eines französischen Konzerns. Da kann es sein, dass Sie über die französische Mutter versichert sind. Sie wollen aber lieber ein deutsches Bedingungswerk. Oder, Ihnen ist die Versicherungssumme zu niedrig und Sie wollen selbst mehr versichern.
Generell muss man aber auch differenzieren, ob wir von großen Unternehmen oder vom Mittelstand, wo für uns als Hiscox der Schwerpunkt unseres Risiko-Appetits liegt, reden. Gehen wir mal von einem familiengeführten Unternehmen mit einem einzigen, fremd angestellten Geschäftsführer aus. Dieses Unternehmen erzielt einen Umsatz von, sagen wir mal, 25 Mio. Euro. Hier wäre für beide Varianten eine Risikoprüfung fast identisch. Wenn das Unternehmen insolvent gehen sollte, dann würde der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer in Anspruch nehmen – unabhängig davon, ob dieser überhaupt eine D&O, ob er eine Unternehmens-D&O oder ob er eine Persönliche D&O hat. Das eventuelle Mehr in der Unternehmens-D&O, weil da vielleicht noch die leitenden Angestellten enthalten sind, spielt da nur eine untergeordnete Rolle.
Wenn ich aber zu dem Fall Wirecard komme oder zu Volkswagen, dann macht es vielleicht schon einen Unterschied, ob ich nur einen Vorstand oder alle Vorstände versichert habe. Es gibt in der Unternehmens-D&O eine gesamtschuldnerische Haftung, also kein Vorstand kann sagen: Ich hafte nur für mein Ressort. Da macht es vielleicht noch mal einen Unterschied, auch in der Risikobewertung und in der Prämienfindung, ob ich die Persönliche D&O oder die der Unternehmens-D&O anbiete.
Sie sind wie gesagt im Mittelstand aktiv. Wie entwickelt sich denn die Nachfrage?
Die Nachfrage nach der D&O insgesamt wächst deutlich. Nach der Unternehmens-D&O wächst sie noch stärker als nach der noch recht jungen Variante der Persönlichen D&O, da könnte die Nachfrage höher sein.
Wir hören immer, die Nachfrage ist da, aber die Versicherer halten sich zurück?
Also, wir halten uns nicht zurück. Wir zeichnen weiter.
Wie sieht es auf der Schadenseite aus? Und welche Rolle spielt dabei die Pandemie?
Die Frequenz an Schäden hat etwas zugenommen und auch die Höhe. Ob das jetzt einen direkten Link zur Pandemie hat, vermag ich nicht zu sagen. Da geht es meist um die Frage, ob es eine Insolvenzwelle geben wird oder nicht. Im Augenblick gibt es diese nicht. Richtig ist aber, dass die Mehrheit der Schäden mit einer Insolvenz zu tun hat. Aber die allgemeine Entwicklung mit Blick auf den harten Markt gab es schon vorher.
Wenn Sie vom harten Markt sprechen, was hat sich denn in der Zeichnungspolitik geändert?
Insgesamt ist das Underwriting aufwändiger geworden. Denken wir an die Lieferkettenproblematik, es gibt da ziemlich viele Zusammenhänge. Wir achten deshalb darauf, stabile Unternehmen zu versichern. Unternehmen, die schon Probleme haben, werden nur schwer eine D&O bekommen. Das spiegeln uns auch Makler wider. Wir achten darauf, dass die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage stabil ist. Wir achten darauf, dass die Branche wenig negativ von Corona-Auswirkungen beeinflusst ist.
Gibt es dann bei Ihnen einen Zeichnungsstopp in bestimmten Branchen, beispielsweise Hotellerie?
Es gibt bei uns keinen konkreten Stopp. Aber für Hotels ist es heute schwerer, einen Versicherungsschutz zu bekommen als vor drei Jahren, als die Beherbergungs- und Reisebranche geboomt hat. Wir versichern auch Start-up-Unternehmen weiter. Das machen nicht so viele Versicherer, allerdings auch schon vor der Pandemie nicht. Aber wir glauben, dass Start-ups für die Volkswirtschaft und für uns als Gesellschaft einfach sehr, sehr wichtig sind.
Wir wollen also weiter Geschäft machen. Dafür haben wir unseren sehr kunden- und vertriebsfreundlichen Antrag sowohl für die Persönliche D&O als auch für die Unternehmens-D&O weiter am Laufen. Das hat sich nicht geändert. Wir wollen schlanke, transparente, gute Lösungen. Was sich bei uns auch nicht geändert hat: Wir haben in der Deckung nicht grundsätzliche Einschränkungen. In einem echten harten Markt – ich rede lieber von einem verhärteten Markt als von einem harten Markt – würden Sie ja reihenweise Einschränkungen im Versicherungsumfang wahrnehmen. Wir machen das bislang nicht, zumindest nicht in Gänze.
Was heißt nicht in Gänze?
Nun, wenn es Unternehmen gibt, die in Schieflage geraten und ein Renewal ansteht, da müssen wir uns überlegen, wie wir den Vertrag fortführen wollen. Aber unsere Anträge, die auch für Sie einsehbar sind – unser Makler-Portal ist offen für jeden einsehbar – enthalten keine Deckungen mit gegenüber vor ein, zwei Jahren eingeschränkten Bedingungen.
Aber sind eingeschränkte Bedingungen nicht Markttrend?
Ist das so? Also, ich nehme eher wahr, dass die Prämien erhöht werden, sowohl im Bestand als auch für das Neugeschäft. Ich kann das nicht bestätigen, dass jetzt flächendeckend neue Bedingungsgenerationen auf dem Markt wären. Vielleicht im Großkunden-Segment oder bei einzelnen Versicherern.
Natürlich muss jeder Versicherer für sich auch das Risikomanagement vornehmen. Jedes Haus muss für sich überlegen: Wie viel Erfahrung habe ich mit D&O? In welchen Segmenten bin ich unterwegs? Was will ich eigentlich erreichen? Will ich noch wachsen? Will ich das Momentum nutzen? Und wir haben die Ausrichtung: Wir haben Erfahrung. Wir wollen weiter ein wichtiger Player sein. Aber wir wollen uns im Interesse aller nachhaltig für die Zukunft aufstellen. Wenn wir jetzt Prämien anpassen, dann machen wir das, um mehr Sicherheit für die Zukunft zu bekommen.
Wir machen deshalb ein aus unserer Sicht vernünftiges, nachhaltiges, intensives Underwriting. Wir sagen für weite Teile des Mittelstandes können wir weiter mit unseren recht schlanken Anträgen das Geschäft zeichnen.
Aber um jetzt mal ein ganz konkretes Beispiel zu nennen: In diesem Antrag gibt es eine Frage, ob der Versicherungsnehmer und die Tochterunternehmen eine Eigenkapitalquote von mindestens 20% hatten und auch für dieses Jahr prognostizieren. Das ist eine Frage, die es vielleicht vor fünf oder zehn Jahren in der Form nicht gegeben hätte. Deswegen vorhin auch die Betonung darauf, dass wir auf die Stabilität in den Unternehmen achten. Das geht teilweise automatisiert, teilweise wird individuell geprüft. Sie merken, was mir wichtig ist: Mehr Qualität und Nachhaltigkeit im Underwriting müssen nicht zulasten der schnellen digitalen Lösung gehen.
Was genau geht automatisiert?
Unser Antrag für die Unternehmens-D&O bietet bis zu 5 Mio. Euro Versicherungssumme. Und der ist adressiert an Unternehmen mit Sitz in Deutschland oder Österreich mit einem Jahresumsatz bis zu 100 Mio. Euro. Das heißt, das ist nicht mehr nur Kleingeschäft. Der Antrag kann per Hand ausgefüllt werden, aber auch am Rechner und der Makler kann den Antrag zur Unterschrift dem Geschäftsführer schicken – zur persönlichen oder digitalen Unterschrift. Der Antrag wir dann innerhalb kürzester Zeit policiert. Wir sind da sehr vertriebsorientiert unterwegs.
Trotzdem kommen Sie nicht mit allen Unternehmen zusammen. Was schreckt Sie?
Grundsätzlich teilen wir Maklern sehr schnell mit, wenn eine Anfrage überhaupt nicht in unserem Risiko-Appetit liegt. Banken oder Finanzdienstleister versichert Hiscox nicht. Es schreckt uns hier nichts, das ist eine zeichnungspolitische Angelegenheit. Wir sind eben der Versicherer des Mittelstands.
Wirecard wäre für Sie also gar nicht infrage gekommen. Zuletzt gab es ein paar Urteile, die aufhorchen ließen: Ein D&O-Versicherer muss vorläufig Strafrechtskosten und PR-Kosen des ehemaligen Wirecard-CEOs übernehmen. Wie schätzen Sie das ein: Einzelfall oder verallgemeinernd?
Es gibt dabei einige Punkte, die vielleicht verallgemeinerungswürdig sind. Aber ich habe keine große Sorge. Natürlich besteht immer eine Restgefahr, dass bei Kunden etwas im Hintergrund passiert, was Sie vorne gar nicht sehen oder vielleicht auch in der Risikoprüfung gar nicht erfassen können. Und wir sehen, dass Aspekte, die den Kern der D&O bisher nicht betroffen haben, immer wichtiger werden, wie zum Beispiel der Strafrechtsschutz. Das ist schon etwas, was man in der Produktentwicklung, in der Risikoprüfung, auch in der Portfolio-Steuerung berücksichtigen muss. Das haben wir im Blick.
Mit welcher Wirkung beispielsweise für neue Abschlüsse?
Wir haben an der Stelle keine Maßnahmen definiert. Ich würde sagen, wir analysieren. Was aber auch passieren wird, ist, dass dieser Fall dazu führen wird, dass das Risiko-Bewusstsein in den Unternehmen und bei Geschäftsführern steigt. Durch diese Berichte wird das Interesse an D&O-Versicherungen steigen.
Das gilt auch im Zusammenhang mit Cyber-Gefahren. Welchen Link gibt zwischen Cyber und D&O?
Cyber-Gefahren lassen das Haftungsrisiko von Führungskräften steigen. Von daher sehen wir diese Verknüpfung. Ich habe unseren Antrag schon ausführlich erwähnt. Jeder mittelständische Kunde bekommt bei uns einen Nachlass auf die Versicherungsprämie gewährt, wenn er eine Cyber-Versicherung hat. Wir rabattieren – wenn auch zugegebenermaßen auch etwas weniger – unseren D&O-Vertrag selbst dann, wenn die Cyber-Versicherung nicht bei Hiscox besteht. Was ich ziemlich innovativ, aber auf der anderen Seite auch risikoangemessen finde.
Wird es eine D&O irgendwann nur noch dann geben, wenn eine Cyberversicherung vorhanden ist?
Das sehe ich nicht. Es gab zwar auch schon mal Stimmen, dass, wenn keine Cyber-Versicherung abgeschlossen wurde, im Cyber-Schadenfall sofort die Haftung da wäre. Aber ich finde, ein Unternehmenslenker muss die Möglichkeiten haben, die Cyber-Risiken individuell zu kontrollieren und zu beherrschen. Jedoch auch wenn man intensiv in Prävention investiert, kann man damit nicht alle Cyber-Risiken ausschließen. D&O- und Cyberversicherung haben daher heute und in Zukunft beide absolut ihre Daseinsberechtigung und stellen gerade in Kombination ein wichtiges Modul im Risikomanagement der Unternehmen und ihrer Manager dar.
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