Bundesanleihen gelten als mündelsichere Wertpapiere und damit als besonders sicher, dafür allerdings auch als gering verzinst. Doch die Unsicherheiten um die Modalitäten des Brexit und die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU läuteten ab Mai 2019 eine Phase negativer Renditen ein. Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und der folgende Börsen-Crash verstärkten den Run auf Bundesanleihen. Im März 2020 erreichte die Rendite der zehnjährigen Titel daher ein Rekordtief von −0,909%. Gut zweieinhalb Jahre notierten nun die Renditen dauerhaft im Minus, doch am Vormittag des 19.01.2022 war es dann soweit: Das Ende der Minuszinsen war da. Die jüngste zehnjährige Staatsanleihe warf nach Angaben des Finanzportals onvista kurzfristig eine positive Rendite von +0,017% ab. „Endlich muss der Anleger beim Kauf von zehnjährigen Bundesanleihen nicht von vorne herein draufzahlen“, kommentierte Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding den Vorgang und weiter: „Aber eine attraktive Anlage, die neben der Sicherheit über die spätere Rückzahlung auch einen Ertrag verspricht, sind diese Anleihen damit noch lange nicht.“
Ursache ist ein sich veränderndes makroökonomisches Umfeld
„Der Anstieg der deutschen Rendite sei die Folge anhaltend hoher Inflationsraten und der Erwartung kräftiger Zinserhöhungen durch die Fed sowie einer weniger expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank“, erklärte Oliver Eichmann, Zinsexperte für den europäischen Raum der Fondsgesellschaft DWS, und prognostizierte weiter: „Wir gehen davon aus, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen in diesem Jahr weiter bis in den Bereich von +0,2% steigen wird.“ Diese Entwicklung habe sich bereits abgezeichnet, sagte wiederum Elmar Völker, Analyst bei der Landesbank Baden Württemberg (LBBW), in einer ersten Reaktion. Es gebe einen „Abwärtsdruck auf die Rentenkurse“ und dementsprechend einen „Aufwärtsdruck auf die Renditen“. Und das komme vor allem aus den USA, „wo sich die Anzeichen verdichten, dass die US-Notenbank bereits in wenigen Wochen die Leitzinswende einläuten dürfte“, sagte Völker. Anders als in der Eurozone gab es zuletzt Spekulationen, dass die Fed die Zinsen angesichts immer neuer Höchststände bei den Teuerungsraten bereits im März erhöhen könnte und damit früher als ursprünglich an den Finanzmärkten erwartet.
Zehnjährige Bundesanleihen als wichtige internationale Benchmark
Die zehnjährigen Bundesanleihen gelten als Maßstab für die Entwicklung der langfristigen Kapitalmarktzinsen – und das nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Eurozone. Die Anleiherenditen anderer Euro-Länder werden an Bundesanleihen gemessen, ebenso wie die Renditen von Unternehmensanleihen. Auch für Hypothekenzinsen sind die zehnjährigen Staatspapieren ein wichtiger Vergleichsmaßstab. Nach Angaben der Fondsgesellschaft DWS wird diese Wendung zunächst aber nicht zu einem Problem für die höher verschuldeten Staaten des Euroraums. Derzeit sei nicht zu erwarten, dass der Markt deren Refinanzierungsfähigkeit testen werde. Denn die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dürfte expansiv bleiben und einer Ausweitung der Spreads über die noch bis 2024 andauernden Reinvestitionen entgegenwirken. Allerdings könne das mit einer wieder positiven Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe einhergehende psychologische Moment einige Investoren dazu bewegen, Kapital aus höher verschuldeten Staaten des Euroraums abzuziehen. Daher gehen wir auf Sicht von zwölf Monaten von moderat steigenden Risikoprämien italienischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen aus, so die Äußerungen seitens der DWS.
Wende ins „Plus“ als rein symbolischer Wert
„Die Null-Marke habe rein symbolischen Wert“, beschwichtigt hingegen Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING, und erläutert weiter: „Sie habe ‚keinen wirtschaftlichen Mehrwert‘.“ Der Anstieg der Renditen zeige aber allgemein die „Zeitenwende“ bei den Notenbanken. „Kredite werden langsam wieder etwas teurer oder – besser gesagt – etwas weniger günstig. Marginal können sich Kreditnehmer und Häuslebauer dieses Jahr auf leicht steigende Zinsen einstellen. Für Sparer werde sich wohl nichts verändern“, sagte Brzeski weiter. Ungeachtet des eher symbolischen Wertes verändert diese Wende dann doch so manche Erwartungen unter den Finanzmarktteilnehmern. „Die steigenden Bond-Renditen machten Aktienanleger nervös“, mahnt Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners, und führt weiter an: „Für die Unternehmen werden die steigenden Zinsen zur immer größeren Belastung. Damit steigen die Kapitalkosten, gleichzeitig sinken Margen und Gewinne.“ Und auch der eine oder andere Finanzminister dürfte unruhig werden, denn je höher die Bond-Renditen, desto teurer wird die Finanzierung von Haushaltsdefiziten. (as)
Bild: © Coloures-Pic – stock.adobe.com
Source: ImmoCompact