Interview mit Thomas Haukje, Präsident des BDVM e. V. und Geschäftsführender Gesellschafter der Nordwest Assekuranz­makler GmbH & Co. KG
Herr Haukje, Sie betonen immer wieder, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Versicherer und Industrie in der harten Sanierungsphase beschädigt worden sei. Verbessert sich das Klima allmählich?

Das kommt ganz auf den Versicherer an. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass weiterhin sehr robust agiert wird. Der Sanierungskurs geht bei vielen Risikoträgern unermüdlich weiter. Kunden sind verärgert und verunsichert. Da ist kein ruhigeres Fahrwasser in Sicht. Das Verhalten ist zudem ambivalent, und es gibt eben nicht den einen Trend, dem die Versicherer im Industrie­geschäft über alle Sparten hinweg folgen. Kunden sind also weiterhin überrascht und belastet von den unterschiedlichen Forderungen vieler Versicherer.

Prämiensteigerungen, Limits und Kapazitätsreduzierungen – ist das Ende der Fahnenstange erreicht?

Große Risikoträger hatten für dieses Jahr bessere und rechtzeitige Kommunikation hinsichtlich der Kapazitäten und Prämien gelobt. Davon ist im Wesentlichen nichts zu spüren. Das Sturmtief „Bernd“ wird von vielen Anbietern als der Auslöser zusätzlicher Aktivitäten in Sach genannt. Obwohl ebenfalls immer wieder betont wird, dass die deutsche Versicherungswirtschaft resilient ist und kein Versicherer nach einem Sturmtief seine Zeichnungspolitik grundsätzlich ändert. Dennoch wurden die Kumulkontrollen ausgelöst und viele Regionen einer neuen Risikobewertung hinsichtlich Elementar unterworfen.

Das lähmt den laufenden Underwriting- und Renewal-Prozess. „Bernd“ hat uns alle erst mal auf Start zurückgeworfen. Kunden verstehen sicher, dass die diesjährigen, katastrophalen Elementarereignisse Auswirkungen haben, erwarten aber dennoch Klarheit, wohin die Reise konkret geht, und keine überhitzten Reaktionen oder gar „Impact-Underwriting“.

Gilt das insbesondere für die kritischen Sparten D&O und Cyber?

In diesen Sparten geht es weiterhin in besonderer Art und Weise rund.

Der D&O-Markt hat sich auch im Jahre 2021 nicht entspannt, und eine Besserung ist wohl auch für 2022 nicht in Sicht. In Anbetracht der nicht auskömmlichen Schadenquoten der Versicherer werden weiterhin die Kapazitäten reduziert. Im letzten Jahr wurden die Kapazitäten meist auf 15 Mio. Euro gesenkt. In diesem Jahr gehen einige Versicherer schon dazu über, eine weitere Reduzierung der Deckungssummenkapazität auf 10 Mio. Euro vorzunehmen. Ferner werden Bedingungsänderungen herbeigeführt wie zum Beispiel die Streichung der 2-fach-Maximierung, Streichung der Wiederauffüllungsklausel oder Streichung von Zusatzlimiten, um die Kapazitäten der Versicherer zu maximieren.

Auch lassen sich manche Berufsgruppen wie zum Beispiel Finanzdienstleister aufgrund der negativen Schadenerfahrungen der D&O-Versicherer in der jüngsten Vergangenheit deutlich schwerer versichern.

Und dann noch zu Cyber?

Die Cyberversicherung ist in einer völlig anderen Situation. Das „Cyberbuch“ ist generell noch eher klein. Es rollen die Cyberangriffswellen und die Schaden­quoten steigen steil an. Cyber lässt sich aber nur zu einem geringen Anteil durch Erhöhung der Prämiensätze und Verringerung der Kapazitäten in den Griff bekommen. Entscheidend ist die qualifizierte technische und organisatorische Risikoprüfung, die Feststellung des aktuellen IT-Sicherheitsstandards. Diesen Faktor haben Versicherer oft vernachlässigt.

Die Versicherungswirtschaft hat eine besondere Verantwortung, die Risiken der Digitalisierung versicherbar zu halten. Eine faktische Verabschiedung ab einer bestimmten Umsatzgrößenordnung ist das falsche Si­gnal. Wir stellen als Branche unsere Risikomanagement-Kompetenz damit infrage. Digitalisierung ist der Mega-Trend, der alles dominiert. Die Unternehmen sind jetzt aufgewacht, investieren zudem massiv in IT-Sicherheit und brauchen starke Signale sowie – wo immer möglich – auch einheitliche Vorgaben der Versicherungswirtschaft.

Nun hat die Industrie aktuell noch ganz andere Sorgen. Es kommt zu Lieferengpässen und zu Problemen bei der Beschaffung von Rohstoffen. Welche Entwicklung erwarten Sie – mit welchen Auswirkungen auf die Versicherungsbranche?

Im Wesentlichen tauchen hier zwei Problemfelder auf.

Erstens: Sollte es zu erneuten Störungen der Lieferketten kommen, zum Beispiel aufgrund von Elementarereignissen, Großschäden an kritischen und zentralen Produktionsstandorten der Weltwirtschaft, können die Lieferketten dramatisch leiden und somit erhebliche Unterbrechungsschäden auslösen.

Zweitens: Die Schadenkosten steigen aufgrund der Knappheit. Material und auch die Ressource Mensch sind oft Mangelware. Es fehlen Güter und Hände, um aufgetretene Schäden schnell zu beheben. Dies führt zu längeren Betriebs­unterbrechungen. Zudem werden die Schadenkosten zusätzlich durch die Inflation getrieben.

Viele Kunden investieren auch in weitere Lagerhaltung, um unabhängiger zu werden. Dies erhöht die Versicherungssummen und damit den Bedarf an Versicherungskapazität. Und diese Kapazität ist im Zweifel knapp.

Weitere Herausforderungen sind der Klimawandel im Allgemeinen, Industrie 4.0 – wie bereiten Sie sich als Makler auf diese Themen vor? Wie können Sie Ihre Kunden begleiten?

Wir müssen dem Kunden all diese Herausforderungen und die aufkommenden ESG-Risiken transparent darstellen und ihn damit vertraut machen. Was heißt das für die Unternehmen konkret, wie kann man sich vorbereiten, welche Auswirkungen kann das auf den Versicherungsschutz haben?

Wir können und werden dem Kunden helfen, digitaler und nachhaltiger zu werden, und gleichzeitig die Anforderungen der Versicherungswirtschaft transparent darstellen.

Wir müssen den Kunden aufzeigen, wie sie Digitalisierung, Wende, Ausstieg aus klimaschädlichen Aktivitäten und Transformation schaffen können und insbesondere wie sich dies auf Risiko- bzw. Risikotransferkosten auswirkt. Auch werden wir aufzeigen, wer die richtigen Versicherer sind, die einen solchen Prozess nachhaltig und wirklich verlässlich begleiten. Und auch welcher Versicherer die passenden Produkte und eine wohlwollende sowie zukunftsorientierte Zeichnungsbereitschaft hat.

Was ich mir wünsche, ist eine Versicherungswirtschaft, die Digitalisierung, Wende, Ausstieg und Transformation aktiv begleitet, incentiviert und mit uns für unsere Kunden positiv treibt und begleitet. Dazu gehört Mut, neue Versicherungslösungen und Risikotransfermodelle für die Risiken der Zukunft – die ja schon begonnen hat – mit uns zu entwickeln und auch nachhaltig zu betreiben.

Immer häufiger wird zur Absicherung von Risiken nach dem Staat gerufen. Bei Terror- und Kredit­versicherung passiert dies schon. Zu Pandemien und Extremwetterereignissen wird über öffentlich-private Partnerschaften diskutiert. Welche Rolle können Makler da einnehmen?

Das Tief „Bernd“ hat – zum wiederholten Mal – eine Pflichtversicherung im Bereich der Elementargefahren auf die erste Seite der Nachrichten und auf die Tische der Abgeordneten gespült. Im Grundsatz muss man sich darüber im Klaren sein, dass es sich bei einer umfassenden Naturgefahren-Pflichtversicherung – siehe Frankreich – eher um eine steuerähnliche Abgabe als um ein risikobasiertes Versicherungssystem handelt. Neben juristischen Aspekten, die zuletzt nach der Flut 2013 durch die Justizminister der Länder umfangreich aufgearbeitet wurden, wäre auch zu klären, ob ein solches System in der Breite der Gesellschaft auf Akzeptanz stoßen würde.

Aber zurück zur Rolle der Versicherungswirtschaft und Makler: Es sieht so aus, als wenn einige Versicherer die Flucht ergreifen, wenn die Risiken zu groß, zu teuer oder zu komplex werden. Dieser Eindruck darf nicht entstehen. Die Versicherungswirtschaft hat eine fürsorgende und dienende Rolle. Kunden müssen darauf vertrauen können, dass die Versicherungswirtschaft leistungsfähig ist und sich nicht wegduckt, wenn es heftig wird. Dann sind Lösungen – im Bereich Naturgefahren vielleicht in Teilbereichen auch öffentlich-private Partnerschaften – gefragt, um zu zeigen, dass wir bereitstehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir uns als Branche komplett aus dem Spiel nehmen. Wir müssen gemeinsam immer wieder deutlich machen, was geht und was eben nicht – aber bitte nicht voreilig die Flinte ins Korn werfen.

Und was hat Covid-19 uns dazu gelehrt?

Vater Staat ist der letzte Retter in der Not. Das hat uns Covid gezeigt. Rein privatwirtschaftlich wäre eine Pandemie nicht versicherbar. Viele Unternehmen wollen aber unbedingt eigenverantwortlich vorsorgen, die Dinge gestalten und sich nicht zurücklehnen und hoffen, dass Vater Staat es regelt, wenn die Katastrophe in die Arena des Lebens tritt. Versicherer und Makler kennen die wirtschaftlichen Strukturen ihrer Kunden und könnten bei einer Pandemie für einen zu definierenden Zeitraum in der bestehenden Geschäftsbeziehung für schnelle Mittelzuflüsse sorgen.

Voraussetzung wären von öffentlicher Hand und privater Versicherungswirtschaft bzw. dem Kapitalmarkt bereitgestellte finanzielle Volumina und ein entsprechend aufgesetztes organisatorisches Instrumentarium. Dafür werden Versicherer benötigt, die die Kapazitäten zur Verfügung stellen, und Makler, die diese intelligent und fachkundig für die Unternehmen strukturieren und platzieren.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 11/2021, Seite 50 ff., und in unserem ePaper.

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Source: ImmoCompact