Herr Knittel, Herr Schmitz, wie gelingt es denn der Branche, in den Bedingungswerken der technischen Versicherungen mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten und auf Trends zu reagieren?
Andreas Knittel: Durch den Allrisk-Charakter der Bedingungen der Technischen Versicherungen (TV). Dadurch, dass zunächst alles versichert gilt, was nicht ausgeschlossen wurde, wird auch der ständigen technologischen Erneuerung Rechnung getragen. Das ist in der TV-Sparte nichts Neues.
Ein Beispiel aus der Maschinenversicherung: Den Bedingungen für fahrbare Maschinen (ABMG) gemäß, sind die im Versicherungsschein genannten Maschinen versichert. Die Kalkulation erfolgt auf Basis von Tarifen, die alle möglichen Maschinen mit einem Beitragssatz auflisten. Eine Baumaschine, die heute mit einem Hybridantrieb oder in naher Zukunft mit einem Elektroantrieb versehen wird, kann schon heute analog der Maschinen mit einem konventionellen Antrieb versichert werden. Die Frage, die sich dann die Produktmanager oder Mathematiker stellen müssen, ist, ob Reparaturen durch die neuen Antriebe teurer oder vielleicht sogar billiger werden. Dies wird sich dann nach den Erfahrungen in den Beiträgen widerspiegeln. Ein anders Beispiel sind die Multiline-Policen und der Baustein Elektronik.
In modernen Policen wird heute auf die „dem Betrieb dienenden elektronischen Geräte“ abgestellt. Es werden hierbei nur vereinzelt bestimmte Geräte wie zum Beispiel Prototypen ausgeschlossen. Das heißt, neue erprobte elektronische Geräte wie Thin Client (Arbeitsplatzschnittstelle) sind somit automatisch mitversichert, wenn sie dem Betrieb eines Unternehmens dienen.
Stephan Schmitz: Versicherungen gelten ja nicht zu Unrecht als „Haus der tausend Berufe“. Das Fachwissen von Ingenieuren, Chemikern und Biologen fließt in die Bewertung neuartiger Technologien ein. Das Produktmanagement benötigt diese Experten, um sich beispielsweise bezüglich des Umgangs mit Wasserstoff oder der Schadenpotenziale durch Ladestationen beraten zu lassen.
Nun gibt es in der Industrieversicherung einen verhärteten Markt. Höhere Prämien, mehr Limits, kleinere Kapazitäten. Was bedeutet dies für die technischen Versicherungen?
Stephan Schmitz: 2021 war bekanntermaßen das schlechteste Jahr seit GDV-Gedenken. Das versicherungstechnische Ergebnis der nicht-privaten Sachversicherung in Gänze wird vermutlich bei einer Combined Ratio (CR) von deutlich über 100% auslaufen, daher darf man den Versicherern nicht nachhaltig böse sein, wenn die Prämienverhandlungen anstehen.
Auch die Sparten der technischen Versicherungen haben in 2021 arg gelitten. Auch wenn die CR hier noch nicht dreistellig ist, muss gegengesteuert werden. Jedoch ist der Druck hier ungleich geringer und kann mit organischen Maßnahmen erfolgen, die auch Vertriebspartnern und Endkunden gut vermittelbar sind.
Andreas Knittel: Das kann ich nur bestätigen. Wobei dies insbesondere für die TV-Industrieversicherung gilt. Denn im kleineren Gewerbesegment ist dies auf Grund der ungleich höheren Wettbewerbssituation nicht zu sehen. Hier gibt es weiterhin einen Preiskampf und immer weitergehende Deckungen. Dies liegt auch daran, dass die CR in dem Segment der kleineren Unternehmen sich besser entwickelt, auch wenn hier die Schadenlast kontinuierlich zunimmt. Daher ist es auch hier wichtig, die Situation zu beobachten und dann gegenzusteuern, um nicht in eine ähnliche Lage wie die Industrieversicherung zu geraten.
Wie entwickelt sich denn derzeit die Nachfrage nach entsprechender Absicherung und welches Konfliktpotenzial ergibt sich bei einer Cyberversicherung und einer technischen Versicherung?
Stephan Schmitz: Insbesondere in der Elektronikversicherung ist die Absicherung der Daten ein wichtiges Thema. Es existieren zwei Klauseln, die TK1928 und TK1929, die Kostenerstattung für verlorene oder beschädigte Daten bieten. Zwar werden auch zukünftig beide Klauseln subsidiär zu einer vorangehenden Cyberdeckung leisten, jedoch wurde die TK 1929 in der 2020er-GDV Version erweitert um eine Deckung für „Denial of Service Attacken“ sowie Malware/Schadsoftware. Neben dieser bemerkenswerten Erweiterung kommt auch die Kostenübernahme für Feststellung der Ursachen und Auswirkungen des Versicherungsfalls, also der Forensik, hinzu. Sie hatten nach „Konfliktpotenzial“ gefragt, tatsächlich dürfte sich dieser Teilbereich der Technischen Versicherung noch als sehr spannend erweisen.
Andreas Knittel: Ein Konfliktpotenzial zwischen einer TV-Deckung und der Cyberversicherung sehe ich noch nicht, da wie Stephan sagt, die Klauseln subsidiär Deckungsschutz bieten. Dieses Thema werden sicherlich beide Sparten gemeinsam noch angehen und für Klarheit in Zukunft sorgen, in dem man beispielsweise eine klare Abgrenzung, was von wem zu leisten wäre, vornimmt.
Nun stehen ja auch die Vermittler in diesem Segment vor der Herausforderung, immer auf dem neuesten Stand zu sein. Technische Versicherungsmakler sind meist groß, international und spezialisiert. Welche Entwicklungen sehen Sie auf dieser Seite?
Stephan Schmitz: Tatsächlich ist dies gerade in unserem Feld gar nicht so einfach. Fachseminare etwa zur Betriebsunterbrechungsversicherung (TV) werden Sie vergeblich suchen. Gleiches gilt bei der Literatur. Das war auch der Grund, warum Andreas und ich ein Fachbuch verfasst haben: Es gab schlicht kein aktuelles Buch auf dem Markt. Da es aber tatsächlich so ist, dass ein solides Wissen für die Beratung in diesem Segment unverzichtbar ist, haben wir versucht, zumindest hierfür ein Angebot zu schaffen.
Andreas Knittel: Da sich die Technologien immer weiter und vor allem viel schneller entwickeln, bedarf es auch in der Vermittlerschaft einer systematischen Schulung der neuen oder überarbeitenden Produkte. Um in dem Markt erfolgreich zu sein, muss man sich ein Know-how aufbauen und gut vernetzt sein. Das gilt nicht nur für den Vermittler, sondern auch für den Versicherer. Wichtig ist es aus meiner Sicht, dass man Nachwuchs in der TV-Sparte ausbildet, um die komplexen Sachverhalte zu verstehen und Erfahrungen zu sammeln. Gerade im Underwriting, also bei der Entscheidung, Risiken zu zeichnen, bedarf es einer gewissen Erfahrung. Dies ist ein Prozess über mehrere Jahre, den es nicht zu „verschlafen“ gilt. Auch die viel gepriesene Digitalisierung kann dies nicht auffangen, sondern lediglich bei der Lösung unterstützen.
Sie hatten gerade die TV-Makler als groß und international beschrieben. Das stimmt natürlich, es gibt aber auch gerade im Gewerbesegment kleinere regionale und auf TV spezialisierte Makler. Meistens haben diese sich auch auf eine Sparte in den Technischen Versicherungen – beispielsweise auf Maschinen – spezialisiert und sammeln hier Erfahrung. Das Wissen ist hier oft sehr hoch und spezialisiert. Auch in den Ausschließlichkeitsorganisationen sind solche Spezialisten anzutreffen. Dies sollte gerade auch im Hinblick auf den Technologiewandel weiter ausgebaut werden.
Sehen Sie Lücken in der Beratung und Risikoermittlung?
Stephan Schmitz: Viele Makler-Wordings sind schlecht gealtert: Sie wurden vor einiger Zeit aufgesetzt und handwerklich gut gestaltet. Rechtsprechung, Regulierungserfahrung und Bedingungsfortschritt haben jedoch viele Rahmenvereinbarungen und Wordings rechts und links überholt.
Andreas Knittel: Das kann ich nur bestätigen. Auch Versicherer „hinken“ hier teilweise hinterher. Wie bereits erwähnt ist das Entscheidende, dass auch das Wissen über die Technischen Versicherungen vorhanden ist. Sonst kommt es zwangsläufig zur lückenhaften Beratung.
Wie kann das gelöst werden?
Stephan Schmitz: Hier lohnt sich der regelmäßige Austausch zwischen Makler und Versicherer. Besonders fruchtbar empfinde ich, wenn an diesen Treffen alle Bereiche vertreten sind. Also neben den Account-Managern bzw. Maklerbetreuern auch das Underwriting und Produktmanagement.
Andreas Knittel: … und in dem man die Schulungen intensiviert und den Nachwuchs ausbildet.
Die Versicherungsexperten Stephan Schmitz und Andreas Knittel haben ein Buch zum Thema Technische Versicherungen veröffentlicht. Weitere Informationen finden sich hier.
Lesen Sie auch den ersten Teil des Interviews:
Was Vermittler über Technische Versicherungen wissen sollten
Bild oben: © Stephan Schmitz, Andreas Knittel
Source: ImmoCompact