+22% für Energie, +4,5% für Nahrungsmittel, +2,8% für Dienstleistungen: Die Aufzählung von Preissteigerungen im November bei Waren und Dienstleistungen ließe sich mühelos weiter fortsetzen. Das Statistische Bundesamt (Destatis) hat nun für November mit einer geschätzten Teuerung von 5,2% den höchsten Wert seit Juni 1992 ermittelt. Damals betrug die Inflationsrate im Zuge des Konjunkturbooms zur Wiedervereinigung Deutschlands sogar 5,8%. Bereits in den vergangenen Monaten wurden von Destatis vergleichsweise hohe Inflationsraten registriert (siehe untenstehende Abbildung).

Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer „legen die Preise mittlerweile auf breiterer Front zu, es geht nicht mehr nur um Energie und einige besonders von Corona betroffene Güter“.

Ursachen der Preisdynamik

Die hohen Inflationsraten seit Juli 2021 haben nach Angaben von Destatis eine Reihe von Gründen, darunter Basiseffekte durch niedrige Preise im Jahr 2020. Hier wirken sich insbesondere die pandemiebedingte, temporäre Senkung der Mehrwertsteuersätze und der Preisverfall der Mineralölprodukte infolge des weltweiten Konjunkturabschwungs im Jahr 2020 erhöhend auf die Gesamtteuerung aus. Hinzu kommt neben den üblichen Marktentwicklungen die Einführung der CO2-Bepreisung durch die Große Koalition seit Januar 2021. Seitdem wird eine CO2-Abgabe in Höhe von 25 Euro je Tonne ausgestoßenen Kohlendioxids fällig. Außerdem kommen für die stetig steigenden Inflationsraten weitere krisenbedingte Effekte zum Tragen, wie die deutlichen Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen infolge von Lieferengpässen, die sich vorerst nur teilweise und abgeschwächt im Verbraucherpreisindex und in der Inflationsrate niederschlagen.

Hohe Teuerungsraten rund um den Globus

Der kräftige Preisschub ist dabei ein weltweites Phänomen. Doch anders als in der Eurozone haben die Notenbanken in Großbritannien und den USA eine Straffung ihrer jeweiligen geldpolitischen Strategie in Aussicht gestellt. Davon sieht die Europäische Zentralbank (EZB) ab und setzt ihre Nullzinspolitik unvermindert fort. „Wenn wir die Geldpolitik jetzt straffen würden, gäbe es dadurch nicht ein Containerschiff oder einen Lkw-Fahrer mehr. Wir leiden unter einer Inflation, die größtenteils von Angebotsengpässen und Energiepreisen getrieben wird“, begründete EZB-Präsidentin Christine Lagarde die EZB-Strategie gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Eigentlich strebt die EZB ein Inflationsziel von nahe 2% an, wodurch zum einen das Deflationsrisiko vermieden und zum anderen das Wirtschaftswachstum stimuliert wird. Nachdem die Währungshüter mit ihrer lockeren Geldpolitik in der vergangenen Dekade gegen stagnierende oder gar fallende Preise kämpften, hat sich das Blatt Anfang des Jahres abrupt gewendet: Durch den Corona-Lockdown kam es zu Lieferengpässen, was bei den knappen Waren nun zu einem spürbaren Preisanstieg führte.

Kontroverse Sichtweisen um künftige Inflationsdynamik

Laut der deutschen EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat der Preisauftrieb im November wohl seinen Höhepunkt erreicht. Im ZDF äußerte sie am Montag die Erwartung, dass die Teuerung im kommenden Jahr wieder allmählich zurückgehen werde: „Und zwar in Richtung unseres Inflationsziels von 2%“, fügte sie hinzu. Die meisten Prognosen gingen sogar davon aus, dass die Inflation unter diese EZB-Zielmarke fallen werde: „Und insofern kann man eigentlich keine Hinweise darauf sehen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät.“ Weiter erklärt Schnabel, dass die pandemiebedingten Lieferengpässe sich allmählich wieder auflösen und auch die Energiepreise nicht mit dem gleichen Tempo wie bisher weiter steigen würden. Sie betonte aber auch die Verpflichtung der EZB zum Ziel der Preisstabilität: „Wenn wir sehen, dass sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als 2% festsetzen könnte, dann werden wir natürlich ganz entschlossen reagieren.“ Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt die Chefvolkswirtin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Fritzi Köhler-Geib: „Für das kommende Jahr sehe ich Licht am Ende des Tunnels“, sagt sie. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Inflation sich schrittweise zurückbilde und Mitte 2022 die 2%-Marke unterschreite.

Auch höhere Inflationsraten sind denkbar

Allerdings sehen nicht alle Experten die künftige Entwicklung der Inflationsdynamik ähnlich gelassen und rechnen durchaus auch 2022 mit Inflationsraten deutlich über 3%. Top-Banker und Ökonomen widersprechen hier der EZB also recht entschieden. „Diese Inflation wird länger anhalten, und die Inflationsraten werden höher bleiben als viele denken“, sagt etwa Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing auf dem Frankfurter Banken-Kongress. Ähnlich sieht das Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Zwar werde die Inflation aus technischen Gründen nach der Jahreswende sinken, da der Mehrwertsteuereffekt wegfalle. Aber der Rückgang dürfte nur vorübergehend sein, glaubt er. „Danach wird es ein langsames Hochdriften geben – mit einer klaren Richtung.“ In ein paar Jahren „werden die Teuerungsraten dann deutlich über 2% liegen“, prophezeite er jüngst gegenüber tagesschau.de. Er sieht vor allem die EZB als Inflationstreiber, die mit ihren Anleihekäufen viel Geld in den Umlauf bringt. Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust, hält gegenüber dem Handelsblatt im kommenden Jahr sogar eine Inflation von 3,0 bis 3,5% für „realistisch“. Er verweist unter anderem auf die Erhöhung der Gaspreise, die zahlreiche Versorger vor Kurzem angekündigt haben. Insgesamt werden sich die deutschen Verbraucher also vor allem im ersten Halbjahr 2022 mit Raten von deutlich mehr als 3% konfrontiert sehen, denn höhere Preise für Gas und Strom, aber auch für Güter des täglichen Bedarfs sind bereits von den Anbietern und Versorgern angekündigt. Die höheren Inflationsraten werden daher auch 2022 ganz oben auf der Agenda der deutschen Öffentlichkeit stehen und nicht wenige werden neben Reallohnverlusten auch heftige Kaufkraftverluste bei ihren Ersparnissen hinnehmen müssen.

Befürchtungen um eine Lohn-Preis-Spirale?

Inwiefern sich der Teuerungstrend verfestigt, hängt nach Ansicht von Wirtschaftsexperten aber auch von der weiteren Entwicklung der Löhne ab. Aufschaukelungseffekte zwischen Lohnerhöhungen auf der einen Seite und Preiserhöhungen auf der anderen Seite als Anpassungsreaktion auf inflationäre Entwicklungen könnten eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale einleiten, die wiederum hohe Inflationsraten begünstigt. In den 1970er-Jahren hatte ein heftiger Preisschock an den Ölmärkten eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gebracht. Steigende Preise führten zu immer höheren Lohnforderungen und Löhnen, was wiederum zu weiteren Preiserhöhungen führte. Erst ein beherztes Eingreifen großer internationaler Notenbanken mit Zinserhöhungen beendete damals den starken Preisauftrieb. (as)

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