Interview mit Prof. Dr. Matthias Beenken, Fachhochschule Dortmund
Herr Beenken, Sie waren sieben Jahre Chefredakteur der deutschen Ausgabe des VersicherungsJournals – das in unserer Branche meist­gelesene Online-Medium. Also, so was wie eine Benchmark für unsere Website. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Das ist lange her. Kennengelernt habe ich das VersicherungsJournal schon kurz nach seiner Gründung als einer der ersten Anzeigenkunden. Als ich mich 2004 ein zweites Mal selbstständig machte, sprach mich Claus-Peter Meyer an, in sein Team zu kommen. Damals hatte ich zwar Fachkenntnisse und etwas Erfahrung im Schreiben von Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften, aber Online-Tagesjournalismus war eine neue Herausforderung. Dafür musste ich durch eine harte, aber lehrreiche Schule gehen.

Gelernt habe ich vor allem, dass man als Führungskraft nicht nur per Weisung führen kann, denn in einem Team von Freiberuflern hatte ich keine Weisungsmacht. Es ging nur über Motivation und Engagement – das aber sehr gut. Allerdings durfte man dabei nicht über geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten oder freie Wochenenden nachdenken. Unternehmerisch war die Tätigkeit eine Herausforderung, denn die Honorare waren schmal und man musste sich mehrere Standbeine aufbauen. Das hat es sehr erschwert, Nachwuchskräfte für den Beruf des freien Versicherungsjournalisten zu gewinnen.

Geärgert hat mich das manchmal, wenn Branchenlobbyisten über schlechten Wirtschaftsjournalismus schimpften, aber nicht auf die Idee kamen, zum Beispiel im brancheneigenen Verlag regelmäßig Volontäre auszubilden und ihnen eine finanziell ausreichende Basis für eine Karriere im Versicherungsfachjournalismus zu verschaffen.

Wie hat sich denn aus Ihrer Sicht die Mediennutzung im Maklermarkt geändert?

Als ich beim VersicherungsJournal startete, gab es nach meiner Erinnerung nur den Newsletter des Versicherungsmagazins, für den ich heute noch schreibe. Dann aber kamen zahlreiche neue, gut gemachte Newsletter auf den Markt. Heute gibt es eine Vielfalt von Pressemitteilungsdiensten bis hin zu journalistischen Angeboten. Auch spielen Portale eine wichtige Rolle. Was sich leider nicht geändert hat, ist die geringe Bereitschaft, für guten Journalismus Geld zu bezahlen – Paid Content hat sich nicht durchgesetzt. Gerade Makler müssten eigentlich in ihrer Rolle als Sachwalter der Kunden an unabhängiger und objektiver Information interessiert sein. Sobald es aber etwas kostet, wird es schwierig. Das habe ich schon in meiner Zeit als Verlagsleiter vor 20 Jahren erlebt.

Wird ein renommierter Experte für den Versicherungsvertrieb gesucht, ist man bei Ihnen an der richtigen Stelle. Was sind denn aktuell die wichtigsten Treiber?

Eigentlich gibt es „Evergreens“ wie die demografische Entwicklung, den Schwund an selbstständigen Vermittlern, Fachkräftemangel, die nicht enden wollende Lust der Politik an der Regulierung der Branche, die Suche nach der „richtigen“ Digitalisierung sowie nach Marktpotenzialen in verteilten Märkten. In den letzten Jahren hat die Nachhaltigkeit stark an Bedeutung gewonnen. Die mag zwar Vermittlern noch etwas abstrakt vorkommen oder gar als Angriff auf bestimmte Lebenskonzepte missverstanden werden. Aber sie wird die Branche meiner Meinung nach mehr durchschütteln als alle anderen Trends.

Vermutlich haben Sie in den frühen Jahren ihrer Redaktionsarbeit auch schon von einem Provisionsverbot geschrieben. Wird dies ein Dauerthema bleiben?

Das Thema Provision bleibt ein Dauerthema, solange es sie in der heutigen Ausgestaltung gibt. Persönlich bin ich dabei hin- und hergerissen. Einerseits kennt man mich dafür, dass ich selbst aus dem Provisionsvertrieb komme und ihm wohlwollend gegenüberstehe. Die Gegner der Provision zeichnen Idealbilder von finanzrationalen und hochdiszipliniert über Jahrzehnte sparenden Kunden, die mir in der Praxis nie begegnet sind. Andererseits sehe ich kritisch, dass die Branche sich eisern an einer Existenzgründungshilfe aus dem 19. Jahrhundert, der gezillmerten Abschlussprovision in der Lebensversicherung, festklammert. Damit werden unnötige Angriffsflächen geboten.

Wenn wir vorhin über den Ver­sicherungsvertrieb allgemein gesprochen haben, wie fällt Ihr Blick auf den Maklermarkt aus?

Ich beobachte eine zunehmende Aufteilung in einen traditionellen, aber demografisch aussterbenden Markt der regional verwurzelten Kleinmakler mit unklarem Geschäftsmodell auf der einen Seite und einem finanziell, personell und technologisch hochgerüsteten Markt spezialisierter Geschäftsmodelle auf der anderen Seite. Die Kleinmakler sind oft aus dem Umstieg aus der Ausschließlichkeit in den 1980er- bis 1990er-Jahren im Westen oder Grüne-Wiese-Gründungen aus Mangel an Berufsperspektiven nach der Wende im Osten entstanden. Das sind leider oft Betriebe, die selbst die Kinder dieser Makler nicht übernehmen wollen.

Wie beobachten Sie die Maklerkonsolidierung, insbesondere unter Gewerbe- und Industrie­maklern?

Ich wundere mich etwas, wie viel Geld für ein traditionelles People Business ausgegeben wird, das vor allem von den persönlichen Beziehungen zu den Kunden lebt. Wenn die Aufkäufe genutzt werden, um professionellere Arbeitsweisen mit klarem Nutzen für die Kunden durchzusetzen, wäre das begrüßenswert. Wenn das Ziel aber der Aufbau von Verhandlungsdruck gegenüber Versicherern für höhere Courtagen und Sonderzahlungen sein sollte, sehe ich das als Fehlentwicklung an.

Seit 13 Jahren lehren Sie an der Fachhochschule Dortmund und sind insgesamt bereits seit 22 Jahren in der akademischen Lehre tätig. Das heißt, Sie sind im engen Kontakt mit dem Nachwuchs der Branche. Ist die junge Generation tatsächlich so anders?

Wahrscheinlich gehört es zum Älterwerden, die jeweils jüngere Generation als „anders“ wahrzunehmen, oft mit kritischem Unterton. Ich nehme ganz überwiegend höfliche, wissbegierige und leistungsbereite junge Menschen wahr. Manchmal sind sie mir fast zu brav, weil sie in der Schule nicht gelernt haben, Bestehendes infrage zu stellen und in der Sache hart über ihre Ideen zu diskutieren. Das habe ich in meiner Generation noch etwas anders wahrgenommen.

Aber wir erziehen die jungen Leute auch einseitig. Ein Beispiel: Im Zuge der Bologna-Reform wurde abgeschafft, wenige, aber mehrstündige Klausuren jeweils zum Ende des Grund- und des Hauptstudiums zu schreiben, in denen man in Ruhe strukturierte Lösungen entwickelte. Heute muss jede Lehrveranstaltung zum Ende eines jeden Semesters mit einer Prüfung abgeschlossen werden. Aus Kapazitätsgründen finden fast nur kurze Klausuren und Multiple-Choice-Tests statt – und alles zählt für die Endnote. Die Folge ist eine Lern- und Prüfungs-­Bulimie. Woher soll da ein Interesse kommen, freiwillig an Sonderveranstaltungen teilzunehmen und sich auch mit nicht prüfungsrelevanten Themen auseinanderzusetzen, also sich zu bilden, den Geist zu formen?

Mit welcher Motivation starten Ihre Studenten und Studentinnen in die Versicherungswirtschaft?

In unserem dualen Studiengang finden sich regelmäßig zwei Gruppen: Die einen kommen durch persönlichen Bezug in die Branche, weil dort Verwandte arbeiten oder O sie durch ein Schulpraktikum ein solches Unternehmen kennengelernt haben. Die anderen waren auf der Suche nach einem dualen Studien- und Ausbildungsplatz. Dass sie nicht in Industrie oder Handel, sondern in der Versicherungsbranche fündig wurden, ist Zufall. Ich kann mich nicht erinnern, dass mal jemand schon als Kind von einer Karriere in der Versicherungswirtschaft geträumt hat. Das war bei mir damals auch nicht so, obwohl ich in dritter Generation in diese Branche gekommen bin.

Die meisten unserer dual Studierenden erfahren zudem spätestens zum Ende der Berufsausbildung ihre Zielposition, zumeist in einer Stabsabteilung in den Hauptverwaltungen der teilnehmenden Versicherungs- und Maklerunternehmen. Oft erlebe ich die jungen Leute schon während ihres letzten Studienjahres und kurz nach Abschluss, wie sie in ihren Aufgaben und Projekten aufgehen und früh Verantwortung übertragen erhalten. Es sind sogar schon die ersten Absolventinnen und Absolventen dieses erst 2010 gestarteten Studiengangs in Führungspositionen bis hinauf zur F1-Ebene gelangt. Das finde ich toll, denn auf solche Karrieren musste man zu meiner Zeit quälend lange warten.

Beschäftigen Sie sich im Studium auch mit neuen Arbeitswelten, mit KI und ähnlichen Trendthemen?

Ja, schon allein deshalb, weil unsere Studierenden neue Arbeitswelten und Digitalisierung in ihren Ausbildungsunternehmen kennenlernen. Wir haben beispielsweise mit dem Insurance Innovation Day in diesem Jahr zum siebten Mal mithilfe der Digital Impact Labs Leipzig Einblicke in Innovationstechniken, die Nutzung von Daten und den Aufbau neuer Geschäftsmo­delle geben können. Zweimal haben wir eine zweitägige interdisziplinäre Data Science Challenge mit Studierenden der Versicherungswirtschaft und der Informationstechnik durch­geführt mit Beteiligung von Partnern aus der Beratung und Daten aus der Ver­sicherungsbranche.

Und wenn wir Sie zum Abschluss noch zum 25-jährigen Bestehen von AssCompact befragen würden, was wäre Ihre Antwort?

Da gehört es sich als Erstes, von Herzen zu diesem besonderen Jubiläum zu gratulieren, und zweitens, alles Gute für die nächsten 25 Jahre zu wünschen! Ich bin stolz darauf, seit sehr vielen Jahren nicht nur die AssCompact zu lesen, sondern auch immer wieder in ihr schreiben zu dürfen. Als langjähriger Beirat bei den AssCompact-Studien freue ich mich über den überaus konstruktiven Austausch mit dem AssCompact-Team und die ständige Suche danach, nah am Puls der Maklerinnen und Makler zu sein.

Über Prof. Dr. Matthias Beenken

Prof. Dr. Matthias Beenken ist seit 2010 Professor im Fachbereich Wirtschaft der FH Dortmund mit dem Lehrgebiet Versicherungswirtschaft. Daneben ist er bis heute als freier Fachjournalist tätig und verfügt über eine langjährige Berufserfahrung in der Versicherungs- und der Verlagsbranche, die 1987 mit der Ausbildung zum Versicherungskaufmann startete. AssCompact begleitet Matthias Beenken schon sehr lange – und umgekehrt.

Dieses Interview lesen Sie auch in der AssCompact 09/2023 und in unserem ePaper.

Bild: © Prof. Dr. Matthias Beenken, Fachhochschule Dortmund

Source: ImmoCompact